16.08.2016  Intern

Die Mission

Der Showdown beginnt. Vor dem Viertelfinale gegen den Asienmeister Katar (Mittwoch, 18.30 Uhr, ZDF) scheinen die deutschen Handballer fest entschlossen, ihrem EM-Titel jetzt in Rio olympisches Gold folgen zu lassen. Gefragt ist jetzt Nervenstärke.

Nun kommen sie, die ganz großen Spiele. Matches, die auch bei den abgebrühtesten Handballprofis die Emotionen freigelegen. Ein Viertelfinale in einem olympischen Turnier: Das hat bisher keiner der aktuellen deutschen Handballnationalspieler in seiner Karriere erlebt. Zuletzt spielte die Goldene Generation um Stefan Kretzschmar, Christian Schwarzer, Volker Zerbe und Klaus-Dieter Petersen ein solches K.o.-Spiel. Es war 2004 in Athen, als Torwart Henning Fritz zu Superform auflief, als die Spanier im Siebenmeterwerfen kein einziges Tor gegen ihn werfen konnten.
 
Bundestrainer Dagur Sigurdsson freut sich. Für den 43-Jährigen beginnt jetzt, da die K.o.-Spiele anstehen, der eigentliche Teil der Veranstaltung: „Unsere Reise beginnt erst jetzt“, ließ der Isländer wissen, als nach dem Erfolg gegen Ägypten der Gruppensieg feststand. Als er von seiner Mission Gold sprach, wusste Sigurdsson noch nicht, dass die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) am Mittwoch im Viertelfinale auf Katar (18.30 Uhr, MEZ, live im ZDF) treffen würde.
 
Katar. Also jene international eingekaufte Legionärstruppe unter der spanischen Trainerlegende Valero Rivera, gegen die das deutsche Team am 28. Januar 2015 im WM-Viertelfinale von Doha unter ziemlich dubiosen Umständen knapp verlor (24:26) – vor 19 Monaten profitierte der Gastgeber, wie auch in seinen Finalspielen gegen Österreich und Polen, von teils abenteuerlichen Schiedsrichterpfiffen. „Damals waren wir noch nicht so weit“, sagt DHB-Vizepräsident Leistungssport, Bob Hanning, ohne auf die Referees einzugehen. „Auf neutralem Boden sehe ich gute Chancen.“
Eine echte Revanche stellt dieses Duell zwischen Europameister und Asienmeister jedoch nicht dar. Schließlich waren sieben deutsche Profis in Doha nicht dabei, darunter Abwehrchef Finn Lemke (SC Magdeburg) und Torwart Andreas Wolff (THW Kiel), bekanntlich zwei Schlüsselfiguren beim EM-Triumph in Polen. Der 25-Jährige Keeper zeigte zuletzt wieder aufsteigende Form, obwohl Kollegen wie Hendrik Pekeler (Löwen) lächelnd sagen: „Ich glaube, Andi kann noch besser halten.“ Wolff ist bekanntlich auch der einzige Profi, der schon Monate vor dem Abflug nach Rio ankündigte, mit dem Olympiasieg Geschichte schreiben zu wollen.
 
Die Voraussetzungen scheinen gut: Es gibt viele Faktoren, die für die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) sprechen. Da ist einerseits die 6:0-Abwehr, die in den letzten Spielen immer stabiler wurde. Ein taktischer Vorteil liegt darin, dass die Deutschen in Rio de Janeiro zu jenen Teams zählen, die sich, neben dem anderen Gruppensieger Kroatien, am besten auf die neuen Regeln eingestellt haben. Die DHB-Auswahl ist nicht zufällig die bisher beste und effektivste Angriffsmannschaft des Turniers. Mit der von Sigurdsson angeordneten Methode, für den Torwart einen zusätzlichen Feldspieler zu bringen, kaschierten die deutschen Handballprofis auch viele Zeitstrafen.
 
Und dann bauen die Deutschen noch auf ihre Jugend, die die großen Belastungen eines solchen Turniers normalerweise besser verkraften kann als die alte Garde der Katarer. „Es ist bei einem Turnier nicht von Nachteil, dass wir eine junge und ausgeglichene Mannschaft haben“, meint Hanning. Auch zeigt sich das Team um Kapitän Uwe Gensheimer (Paris) bislang sehr homogen, viele Einzelteile tragen zum Gelingen der Mannschaftsleistung bei.
 
Doch all diese Aspekte haben in einem olympischen Viertelfinale, das für alle Profis brutal großen Druck darstellt, wenig zu bedeuten. Es wird vor allem auf gute Nerven ankommen, wenn es in den letzten Minuten der Partie, der Crunch-Time, auf winzige Details ankommen kann. Niemand kann wissen, wie sich die junge deutsche Mannnschaft dann verhält, obwohl sie bisher in Rio – und auch bei dem EM-Triumph in Polen – sehr nervenstark agierte.
 
Sollte das Viertelfinale aber tatsächlich nur die erste Etappe auf der olympische Reise sein, könnte es beim nächsten Stop, dem Halbfinale am Freitag, zum Duell mit dem großen Favoriten und Titelverteiddiger Frankreich (gegen Brasilien) kommen. Es wäre das nächste große Spiel. Es wären die nächsten großen Emotionen. Und es wäre für die deutschen Profis der nächste Schritt in die Handballgeschichte.
 
E. Eggers