25.03.2015  LIQUI MOLY HBL

Sport-Professor Memmert: Muss auch einmal einen erfolgreichen Trainer entlassen

Im Interview beleuchtet Prof. Dr. Daniel Memmert, Leiter des Instituts für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln, die Hintergründe von Trainerwechseln aus sportpsychologischer Sicht.

Mit der Entlassung von Dirk Beuchler beim TuS N-Lübbecke entschied sich Anfang der Woche bereits der fünfte Club der DKB Handball-Bundesliga für einen Trainerwechsel im Abstiegskampf der laufenden Saison. Vor dem 44-jährigen Beuchler, der den TuS seit 2013 betreute, hatten bereits Christian Gaudin (HSV Handball), Niels Pfannenschmidt (TBV Lemgo), Goran Perkovac (GWD Minden) und Frank Bergemann (HC Erlangen) ihre Hüte nehmen müssen. Während in Lübbecke mit dem erfahrenen Sead Hasanefendic schnell ein Nachfolger gefunden wurde, stellt sich die Frage nach dem nachweisbaren Effekt von Trainerwechseln im Sport. Unter anderem genau mit dieser Thematik beschäftigt sich Professor Dr. Daniel Memmert, der das Institut für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln leitet und seit 2012 die Zeitschrift für Sportwissenschaft mit herausgibt.
 
 
Herr Prof. Dr. Memmert, im letzten Saisondrittel der DKB Handball-Bundesliga häufen sich die Trainerwechsel in ungewohntem Maß. Was gibt aus sportpsychologischer Sicht häufig den Ausschlag für eine so tiefgreifende Entscheidung?
 
Prof. Dr. Daniel Memmert: Der Glaube der sportlichen Verantwortlichen an den finalen Impuls. Man geht davon aus, noch einmal alles durcheinander zu würfeln beziehungsweise die Karten neu zu mischen und vergisst dabei, dass die Karten, also die Spieler, ja dieselben bleiben. Oft ist eine Entscheidung für einen Trainerwechsel damit vielmehr von Emotionen und äußeren Einflüssen wie den Fans oder den Medien gelenkt als rational begründbar. Dafür sprechen auch einige aktuelle Studien: Vor allem im Fußball wurde festgestellt, dass Trainer in Spielsituationen, die so nicht zu erwarten waren, dazu neigen, irrationale, ja schlechte Entscheidungen zu treffen. Das kann man so auch auf die Management-Ebene übertragen: Die DKB Handball-Bundesliga ist gerade im Mittelfeld extrem dicht zusammengerückt, weshalb es schnell passieren kann, dass Erwartungen, die sich vor der Saison gesteckt wurden, vorübergehend nicht erfüllt werden. Um dies zu ändern, wird der Trainer ausgetauscht, obwohl im Mannschaftsgefüge eigentlich noch alles intakt ist und der vorausgegangenen Niederlagenserie vielleicht nur fehlendes Glück zu Grunde lag, das in Spielsportarten, im Fußball noch mehr als im Handball, ein gewaltiger Erfolgsfaktor ist.
24.03.2015 - LIQUI MOLY HBL

Sead Hasanefendic wird neuer Trainer des TuS N-Lübbecke

Der TuS N-Lübbecke kann einen Nachfolger für den am Montag freigestellten Trainer Dirk Beuchler präsentieren: Sead Hasanefendic wird das Training im stärksten „Dorf“ im Land ab Dienstagabend leiten und am kommenden Sonntag in Magdeburg sein erstes Spiel mit den Rot-Schwarzen bestreiten.

Unter welchen Umständen kann ein Trainerwechsel kurzfristig wirklich veritablen Erfolg bringen?
 
Prof. Dr. Memmert: Wenn Unstimmigkeiten innerhalb der Mannschaft herrschen. Es kann durchaus passieren, dass es im Team zu einem Gefühl von Benachteiligung oder Grüppchenbildung kommt, weil der Trainer zum Beispiel vermeintliche Lieblinge hat. Dann ist ein Klimawechsel zwingend erforderlich. Übrigens auch, wenn die Mannschaft gerade sportliche Erfolge feiert. Man muss auch einmal einen erfolgreichen Trainer entlassen, wenn die Abnutzungserscheinungen bereits sichtbar werden.
 

Ein Trainerwechsel, während das Team einen Spitzenplatz in der Tabelle belegt, dürfte in der Öffentlichkeit für gehöriges Unverständnis sorgen.
 
Prof. Dr. Memmert: Das ist in der Realität natürlich so. Die führenden Personen sind meistens punkteorientiert, nehmen schlechte Spiele hin, solange sie mit einem Tor gewonnen werden. Dafür werden die Probleme dann umso unausweichlicher, wenn sich das negative Binnenklima schließlich auf die Leistung niederschlägt. Oder wenn man feststellen muss, dass sich Trainer und Mannschaft nicht mehr weiterentwickeln. Das wäre der zweite gewichtige Grund, der dafür spricht, einen Trainer auszutauschen. Ein Trainer braucht eine klare Philosophie, aber er muss sich und das Spiel seines Teams auch immer wieder an neue Entwicklungen anpassen. Spielsportarten wie Fußball oder Handball verändern sich rasant. Ein guter Coach ist dem Spiel aber sogar einen Schritt voraus. Dazu muss er sich immer wieder neu erfinden. Die Maxime muss lauten: Veränderung als Kontinuität.
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Ist man überzeugt von der Anpassungsfähigkeit seines Trainers, sollte man also an ihm festhalten?
 
Prof. Dr. Memmert: Nicht nur am Trainer, sondern am besten auch am gesamten Trainerteam und dem Grundgerüst im Spielerkader. Kontinuität ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, ganz unabhängig von der Tabellensituation. Ich sage ganz bewusst: Man muss dem Trainer und der Mannschaft auch einmal eine schlechtere Saison zugestehen, wenn man von der Grundidee, die sie verfolgend, überzeugt ist.
 
 
Prof. Dr. Daniel Memmert leitet das Institut für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Seit 2012 ist er Mit-Herausgeber der „Zeitschrift für Sportwissenschaft“. Als ehemaliger Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie ist Memmert als Experte auf diesem Gebiet gefragt. Für Spiegel Online analysierte er die Ausganssituation vor der Fußball-WM 2014, in seinem Bestseller „Der Fußball – Die Wahrheit“ (ISBN: 3864971438) deckt der Kölner zusammen mit Bernd Strauss und Daniel Theweleit Fußballmythen auf. Memmert besitzt Trainerlizenzen in den Sportarten Fußball, Tennis, Snowboard sowie Ski-Alpin.
 
 
Foto: Klahn