24.01.2019  Handball Weltmeisterschaft

Henning Fritz - Die WM-Kolumne: Die Mannschaft lässt sich von den Emotionen tragen

In seiner WM-Kolumne für die DKB Handball-Bundesliga erörtert Welthandballer Henning Fritz das Geschehen rund um die Heim-Weltmeisterschaft - natürlich mit besonderem Augenmerk auf die deutsche Mannschaft.

Liebe Handballfans,

das Final-Wochenende der Handball-WM steht vor der Tür: Und die deutsche Mannschaft ist immer noch mitten im Titel-Rennen. Wahnsinn, schon das Erreichen des Halbfinals in Hamburg - das große Ziel vor Turnierbeginn - ist ein riesen Erfolg, mit dem man, wenn man ganz ehrlich ist, nicht unbedingt hätte rechnen müssen. Es standen durchaus einige Fragezeichen im Raum: Wie kommen die Spieler mit der Erwartungshaltung zurecht? Gelingt es ihnen, das Publikum mitzunehmen? Doch die Mannschaft hat diese Fragezeichen eindrucksvoll weg gewischt.

Das Turnier ist für das DHB-Team bislang fast ideal gelaufen. Die Mannschaft hat sich im Verlauf immer weiter gesteigert. Das, was im Vorfeld schon prognostiziert wurde, ist zum Glück eingetreten: Aus einer bombenfesten Abwehr mit guten Torhütern heraus haben wir unser Spiel gestaltet. Doch selbst im Angriff hat sich die Mannschaft sichtlich entwickelt. Der Bundestrainer hat inzwischen viele Optionen an der Hand, ob es nun Fabian Wiede ist, der offensiv glänzt, Kai Häfner, der gut ins Turnier gefunden hat, oder Jannik Kohlbacher, der schlicht und ergreifend ein überragendes Turnier spielt.

Apropos Kai Häfner: Dass Tim Suton und er als Nachrücker so problemlos ins Turnier gefunden haben, ist ein weiterer Erfolgsfaktor und ein Zeichen dafür, dass die Chemie in der Mannschaft einfach stimmt. Mit den Wechseln kam kein Bruch ins deutsche Team - das zeigte sich jetzt zuletzt wieder gegen Spanien, als Tim Suton bei seinem ersten großen Turnierspiel gleich mit Toren glänzte und auch Fabian Böhm, der bislang noch nicht so viel Einsatzzeit bekommen hatte, gute Aktionen hinlegte. Diese Ausgeglichenheit hat die deutsche Mannschaft den meisten internationalen Konkurrenten voraus.

 

Aber nicht nur auf dem Feld gelingt das Zusammenspiel aktuell glänzend. Auch die Fans und die gesamte Öffentlichkeit hat das deutsche Team im Turnierverlauf sehr gut mitgenommen. Andreas Wolff und Patrick Wiencek sind die emotionalen Leader auf dem Feld, reißen nach jeder guten Aktionen die Arme in die Luft und reißen so das Publikum mit. Das erinnert mich alles sehr an die WM 2007. Auch damals haben wir die Euphorie auf den Rängen gespürt und haben das sehr genossen. Zwölf Jahre später können sich nun Uwe Gensheimer und Co. von den Emotionen tragen lassen. Es war ja von Beginn an das Ziel, eine Einheit mit den Fans zu bilden. Und das macht die deutsche Mannschaft mit ihrer Authentizität und Fan-Nähe sehr gut.

Jetzt geht es am Freitag im Halbfinale gegen Norwegen um den Einzug ins Finale. Das wird ein sehr harter Brocken. Besonders vor dem Flensburger Block in Reihen der Norweger habe ich großen Respekt - allen voran vor Magnus Rod. Er hat sich im letzten Jahr physisch und in Sachen Torgefahr deutlich entwickelt. Auch Harald Reinkind blüht beim THW Kiel auf. Auf der Mitte ist Sander Sagosen natürlich ein sehr kompletter Spieler, der Torgefahr und Spielübersicht vereint. Die Außenspieler sind abgezockt und auch die Torhüter sind exzellent. Der Ball läuft sehr schnell durch die norwegischen Reihen. Vielleicht sind sie sogar einen Tick spielstärker als die deutsche Mannschaft. Deswegen wird der wichtigste Schlüssel zum Erfolg wieder unsere Abwehr sein.

Im zweiten Halbfinale halten viele wahrscheinlich Dänemark für den Favoriten gegen Frankreich. Ich sehe das etwas anders. Die Franzosen können sich im Laufe eines Turniers immer steigern, sie sind immer da, wenn es drauf ankommt. Ich halte das Spiel für komplett offen, wobei die Dänen im Angriff vielleicht etwas flüssiger spielen. Aber die Franzosen zu unterschätzen, wäre der größte Fehler, den die Dänen begehen könnten.

Ich wünsche euch in jedem Fall ein großartiges Final-Wochenende bei der Handball-WM. Lasst uns der deutschen Mannschaft beim letzten Auftritt auf heimischen Boden gemeinsam die Daumen drücken, damit sie am Sonntag in Herning hoffentlich die Chance bekommt, ein schon jetzt hervorragendes Turnier endgültig zu krönen.

Euer Henning

Über Henning Fritz

Henning Fritz (44) zählt zu den erfolgreichsten deutschen Handball-Torhütern aller Zeiten. Seine ruhmreiche Karriere begann der 235-malige Nationalspieler bei seinem Heimatverein SC Magdeburg. Mit den Bördeländern wurde Fritz Deutscher Meister und DHB-Pokalsieger. Anschließend gewann der Welthandballer des Jahres 2004 mit dem THW Kiel alle Titel, die es auf der Vereinsebene zu gewinnen gibt. 2012 beendete Fritz seine aktive Karriere bei den Rhein-Neckar Löwen. Auch in der Nationalmannschaft zählte der Schlussmann in den 90er und 00er Jahren zu den unumstrittenen Säulen. Fritz gehörte zur "goldenen Generation", die 2004 erst Europameister wurde und später bei den Olympischen Spielen in Athen Silber gewann. Bei der Heim-WM 2007 krönte der Magdeburger seine Karriere mit dem Titel im "Wintermärchen". Mittlerweile ist Fritz als Experte für das Medienunternehmen Sky und für Neuronavi, einen Hersteller mobiler Regenerationsgeräte, tätig.

Foto: Klahn