18.08.2016  Intern

Mit viel Hunger gegen das Brett

Die deutschen Profis und auch Bundestrainer Dagur Sigurdsson strotzen vor dem olympischen Halbfinale gegen Frankreich (Freitag, hier Zeit) vor Selbstvertrauen. „Ich würde jetzt nicht gern gegen uns spielen wollen“, sagt Sigurdsson. Im Duell der zwei mitgliederstärksten Handballnationen wird viel von der deutschen Abwehr abhängen.

Das, was Tobias Reichmann sagt, ist plötzlich auch in Frankreich wichtig. Sagen Sie, Herr Reichmann, fragt der Reporter mit französischen Akzent, warum sind die deutschen Handballer, die so viele schlechte Jahre hatten, plötzlich wieder so stark? „Wir sind jung, wir sind hungrig, und wir alle wollen den Erfolg“, sagt Reichmann lässig, er lächelt. „Und wie gut der Kader besetzt ist, hat man bei der Europameisterschaft gesehen, als wir vier Stammspieler ergänzen mussten.“
 
Und ja, auf Nachfrage bestätigt Reichmann, der im nächsten Sommer aus Kielce wieder in die DKB-Handball-Bundesliga (MT Melsungen) wechseln wird: „Wir haben natürlich Respekt vor dieser Mannschaft aus Frankreich. Aber die Franzosen werden jetzt auch vor uns Respekt haben.“ Das Selbstvertrauen der deutschen Handballer vor dem olympischen Halbfinale am Freitag gegen Frankreich ist also spürbar gestiegen.
 
Und das nicht nur bei Reichmann, den Bob Hanning, Vizepräsident Leistungssport im Deutschen Handballbund (DHB), einige Meter weiter in der Mixed Zone der Future Arena gerade zum „besten Rechtsaußen der Welt“ ausgerufen hat. „Frankreich ist ein echtes Brett“, sagt Kai Häfner vom TSV Hannover-Burgorf. „Aber das ist ein Halbfinale. Und das wollen wir gewinnen.“
 
Die Reise gehe weiter, sagte Bundestrainer Dagur Sigurdsson. „Was Frankreich betrifft: Vom Papier her sind sie ein starker Gegner, aber ich weiß nicht, ob das heute schon unser Maximum war oder ob wir uns noch steigern können.“ Und der Isländer ist überzeugt davon, dass die Franzosen nach der deutschen Abwehrdemonstration gegen Katar beindruckt sein werden: „Ich würde jetzt nicht gern gegen uns spielen wollen.“
Mit anderen Worten: Der amtierende Europameister und triumphale Sieger aus dem Viertelfinale gegen Katar (34:22) ist nicht gewillt, dem Weltmeister und Olympiasieger und Topfavoriten Frankreich bereitwillig die Tür zum dritten Olympiagold in Serie zu öffnen. Die Vorzeichen stehen gut für ein mythisches Halbfinale, findet auch Frankreichs Superstar Nikola Karabatic, der zwischen 2004 und 2008 mit den THW Kiel vier Meistertitel in Serie feierte. „Deutschland hat sich stark verbessert seit der Europameisterschaft“, sagte der 32-Jährige. „Das wird ein großes Spiel zweier großer Handballnationen.“
 
Auch die Equipe tricolore freilich wird mit breiter Brust auflaufen. Fünf Profis in ihren Reihen – neben Nikola Karabatic sind dies Torwart Thierry Omeyer, Daniel Narcisse (beide ebenfalls Ex-Kieler), Luc Abalo und Michael Guigou – können zum dritten Mal Gold holen und so mit dem legendären russischen Keeper Andrei Lawrow (1988, 1992, 2000) gleichziehen. Sie wissen, wie ein Olympiasieg geht, weshalb die Franzosen eine Aura der Unschlagbarkeit umweht. „Die Franzosen spielen auf einem anderen Niveau“, sagt Bob Hanning. Fügt aber hinzu: „Bis jetzt.“
 
Interessanterweise ist das letzte epische Duell zwischen den beiden größten Handballverbänden der Welt (Deutschland hat ca. 760.000 Handballer, Frankreich rund 550.000) schon über neun Jahre her, 2007 siegte die DHB-Auswahl im WM-Halbfinale in der Kölnarena nach zweifacher Verlängerung und holte danach den Titel. Keiner der deutschen Profis war damals dabei, während das genannte französische Quintett diese Niederlage noch in Erinnerung hat.
 
Man kennt sich kaum, weil viele deutsche Profis wie Häfner (TSV Hannover-Burgdorf), Finn Lemke (SC Magdeburg) oder Martin Strobel (HBW Balingen-Weilstetten) noch nie Champions League gespielt haben. Aber Reichmann beispielweise hat gemeinsam mit Keeper Omeyer und Narcisse in Kiel viele Titel gewonnen. Hendrik Pekeler (Löwen) hat schon am Kreis gegen Ceddric Sorhaindo (FC Barcelona) um jeden Zentimeter gerungen, Patrick Wiencek mit dem THW Kiel ebenso.
 
Vor allem die deutsche Physis könnte den Franzosen zu schaffen machen, diese Abwehrmauer mit Zweimeter-Männern im Zentrum (Lemke, Wiencek, Pekeler), die Bundestrainer Dagur Sigurdsson ganz bewusst so gebaut hat. Zumal diese Defensive gegen Katar das erste Mal das Format hatte, das entscheidend half, in Polen den umjubelten EM-Titel zu gewinnen. „Das war die Europameister-Abwehr“, sagte Hanning nach dem Viertelfinale. Ob sie auch zur Olympiasieger-Abwehr werden kann, entscheidet sich am Freitag gegen Frankreich.
 
E. Eggers